Jahresthema 13/14 - Wiederholung/Répétition

Wiederholung / Répétition

Es gehört Mut dazu, die Wiederholung zu wollen.

Søren Kierkegaard

 

Für die Bildenden Künste stellt der Komplex der »Wiederholung«, im weiten Sinne seiner Bedeutung zwischen dem Selben und dem Anderen (zugleich zwischen dem Identischen und dem Unterschiedlichen, dem scheinbar Ähnlichen, zwischen Original und Kopie, Ursprünglichem und Folgendem) einen fortwährenden Referenzwert dar. Im Sinne der möglichst heterogenen Erschließung dieses Phänomens ist das Jahresthema 2013/2014 am Deutschen Forum für Kunstgeschichte den facettenreichen Dimensionen der Wiederholung gewidmet. Es werden Bewerbungen um Stipendien im Kontext des Jahresthemas erbeten, die sich der Bedeutung der Wiederholung in Kunstgeschichte und Kunsttheorie nähern, wie sie etwa in den folgenden drei großen Untersuchungsfeldern gefasst werden können:

Das erste betrifft das ontologische Diktum der Wiederholung, das unmittelbar mit dem menschlichen Schaffen verknüpft ist. Insbesondere für die Kunst der westlichen Welt verweist es auf die fundamentale Bedeutung der Imitation, sei es der Natur (dabei der Regelhaftigkeiten, ihrer repetitiven Gesetzmäßigkeiten), der großen Meister durch den/die Schüler oder der Modelle. Im Umkehrschluss verbinden sich hiermit Fragen nach Differenz, ‚Neuartigkeit‘ und ‚Originalität‘ oder auch nach dem Übertreffen des Imitierten (superatio). Eine zweite Perspektive dieses Feldes umfasst die soziale Dimension des Schaffensprozesses im Sinne künstlerischer Ausbildung durch Wiederholung. Inwiefern eignen sich zudem unterschiedliche Qualitäten der Wiederholung als Kriterien zur Bestimmung von Kunst, Kunsthandwerk und Kunsttechnologie? Hierbei sind gleichsam Fragen nach einer (Un)Möglichkeit der Reproduzierbarkeit (durch Stiche, Kopien, Auflagen; ‚autographische‘ und ‚allographische‘ Werke im Sinne N. Goodmans) virulent. Eine dritte Perspektive des ontologischen Feldes umfasst schließlich die unmittelbare Thematisierung der Wiederholung, etwa in der Ästhetik des Minimalismus. Die reine Wiederholung um der Wiederholung Willen (Mythos des Sisyphos; Danaidenfaß; Melancholie und Zwang) bildet dabei den Gegenpol zur fruchtbaren Repetition (»wieder-holen«, »ré-pétition«) im Sinne des Variierens, Adaptierens und Übersetzens.

Das zweite Untersuchungsfeld betrifft die räumlichen Implikationen der Wiederholung. Ebenso wie das Phänomen, dass kleine Einheiten durch Wiederholung den Gesamtaufbau bedingen, stellen architektonische Symmetrie, Modularität und (In)Kommensurabilität stets die Frage nach der Maßregel, die insbesondere für den westlichen Kulturkreis von besonderer Bedeutung ist. Die Dimensionen des Ornamentalen und Dekorativen reichen ihrerseits bis hin zu Problemfeldern der Wahrnehmung und der Psychophysiologie. Die räumlich-interne, innerbildliche Wiederholung im Sinne von Übernahme und Variation (copia und varietas) findet in Bilderreihen und Multiples, Serien und Bildvarianten ihren räumlich getrennten und doch motivisch verbundenen Gegenpart. Die Phänomene der Verbreitung von Kunstwerken (durch Kopien, von der Graphik bis zur Digitalisierung) und Künstlern sowie von Kunstinstitutionen (Ateliers, Akademien, Hochschulen) kann gleichsam im Sinne von Repetition und Tradition beleuchtet werden. In diesem historisch-geographischen Zusammenhang sind ferner ‚reisende‘ Modelle, die Übernahme von modellhaften Figurationen (‚Versailles‘ in Europa) und schließlich die Vervielfältigung eines Produkts im Sinne der industrialisierten Massenproduktion bedeutsam. Das Problemintervall dieses zweiten Feldes reicht somit bis hin zu Propaganda und Massenmedien und erlaubt es, übergeordneten Fragen nach Standardisierung und Globalisierung nachzuspüren.

Im dritten Untersuchungsfeld werden die Dimensionen der Zeitlichkeit erschlossen. Dies betrifft zuallererst die Erörterung unterschiedlicher Geschichtskonzepte, die das Weltbild innerhalb einer zyklischen oder einer linearen Entwicklung verorten. Auf diesen fußen unterschiedliche sozio-kulturelle Strukturen: Rituale, Zeremonien, Traditionen. Im Sinne des Kunstschaffens bilden die Wiederholungsformen des Übens und Probens bzw. Exerzierens den zeitlichen Großrahmen, während Artikulation und Rhythmus Unterformen zeitverwandter Repetitionsverfahren darstellen. Das ‚déjà-vu‘ bewegt sich schließlich in einer Zwischenzone aus temporaler und räumlicher Wiederholung. Es bildet eine Sonderform des sich wiederholenden Bildes oder Motivs, oder des Werkes allgemein: künstlerische Wiederholungen, sei es in Form von beabsichtigter Erinnerungsevokationen (ricordi) oder unbewusster Formenwanderungen, stellen immer auch die Frage nach Entwicklungen und Renaissancen, nach Anachronie und Historizität. In diesem Sinne erweist sich die »Wiederholung« schließlich als eine wiederkehrende, besondere Herausforderung der Kunstgeschichte.

Das Deutsche Forum für Kunstgeschichte lädt zu historischen, fächerübergreifenden oder verschiedene Medien und Zeiten betreffenden Vorschlägen ein. Im Sinne der internationalen Ausrichtung des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris soll das Thema unter besonderer Berücksichtigung deutsch-französischer Kunst- und Ideengeschichte behandelt werden. Begleitet wird die Forschungsarbeit der Stipendiaten durch regelmäßige »workshops« mit Gastdozenten, gemeinsame »ateliers de lecture«, Exkursionen, Vorträge und einen abschließenden Jahreskongress. Die mit einem Jahresstipendium verbundene Ausschreibung wendet sich an Doktoranden der Kunstgeschichte sowie benachbarter Disziplinen, deren Thema die übergeordnete Fragestellung berührt oder insgesamt zum Gegenstand hat, wobei bewusst daran gedacht ist, Fallbeispiele in diachroner, internationaler Perspektive und aus verschiedenen Gattungen zu vereinen.

 

Leitung: Andreas Beyer (DFK)/Etienne Jollet (Université de Paris I Panthéon-Sorbonne)

Wissenschaftlicher Koordinator : Markus Rath (DFK)

 

Die StipendiatInnen und ihre Forschungsthemen

  • Sébastien Bontemps, post-doc, Répétition et variation: Le trophée d'église dans l'architecture religieuse en Italie, en France et en Allemagne (XVIe - XIXe siècles)
  • Stefano de Bosio, post-doc, Entre répétition et variation. L’image spéculaire au XVIIIe siècle: enjeux théoriques et pratiques
  • Lauren Cannady, post-doc, Reflections on the Garden Landscape in the Eighteenth-Century French Interior
  • Grace Chuang, Promotionsstipendiatin, Bernard II Vanrisamburgh, Master Cabinetmaker in Eighteenth-Century Paris
  • Sophie Cras, assoziierte Promotionsstipendiatin, Entre standardisation et inflation, les enjeux économiques de la répétition au prisme des oeuvres d’art
  • Karsten Heck, Doktorand an der HU Berlin, Institut für Kunst-und Bildgeschichte: Diagramme der Stilgeschichte
  • Noémi Joly, Promotionsstipendiatin, Quelques remarques sur la répétition dans l’art des néo-avant-gardes en général, et dans les œuvres du groupe ZERO en particulier
  • Clément Layet, post-doc, Répétition des morts de l’art
  • Pierre Pinchon, Formes symbolistes de la répétion dans l'oeuvre de Gustave Moreau
  • Nele Putz, Promotionsstipendiatin, Image und Image. Ein transmedialer Vergleich der Portraitpraxis um 1900 anhand von John Singer Sargent und Alvin Langdon Coburn
  • Johannes Schwabe, Promotionsstipendiat, Selektieren, Imitieren, Kompilieren. Nachahmungspraxis und akademischesSelbstverständnis an der Académie royale im 17. Jahrhundert
  • Merel van Tilburg, post-doc, Stipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds, Modernism and the 'Carpet Paradigm'
  • Valentine Toutain-Quittelier, post-doc, Citation, déformation et métamorphose de l’image gravée dans la peinture vénitienne, au siècle des lumières
  • Aaron Wile, Promotionsstipendiat:  Painting, Authority, and Experience at the Twilight of the Grand Siècle, 1680-1721
  • Katharina Wloszczynska, Promotionsstipendiatin, Die Kunst des Remakes - Medienphilosophische und kunsttheoretische Betrachtung der Wiederholung im Remake als mediale Praktik im Kontext anderer künstlerischer Wiederholungsstrategien