Mathilde Arnoux und Maria Bremer – »Unverbrauchte« Moderne in der Ausstellung Westkunst (Köln 1981). Kontinuitäten und Versprechen kunsthistoriografischer Neubedeutung
DFK hors les murs
Mathilde Arnoux und Maria Bremer – »Unverbrauchte« Moderne in der Ausstellung Westkunst (Köln 1981). Kontinuitäten und Versprechen kunsthistoriografischer Neubedeutung
Unter dem Titel »De-/Re-/Kontaminierungen im Kunstfeld nach 1945« laden das documenta Institut Kassel und das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam am 3. November 2025 zu einer Tagung in den Luisensaal der Humboldt-Universität zu Berlin ein. Die Tagung findet in Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, dem Georg-Kolbe-Museum Berlin und dem Kunstpalast Düsseldorf statt. Um Anmeldung wird gebeten: https://forms.gle/2i1GFQqT5buwz4qe6.
Mathilde Arnoux und Maria Bremer – Herausgeberinnen des Buches Westkunst, 1981. A Historiography of Modernism Exhibited – halten in diesem Rahmen gemeinsam einen Vortrag mit dem Titel »›Unverbrauchte‹ Moderne in der Ausstellung Westkunst (Köln 1981). Kontinuitäten und Versprechen kunsthistoriografischer Neubedeutung«.
Neuere Forschungen zeigen, dass die von ehemaligen Nazis und Mitläufern mitbegründete documenta von 1955 die Kunst der (deutschen) Moderne als »männlich, bürgerlich und freiheitsliebend« (Voss 2021) inszenierte und dabei ihre »selektive Rehabilitierung« (Fuhrmeister 2013) betrieb. Die Neubedeutung der Moderne erfolgte nicht nur durch das Aussortieren oder Uminterpretieren kompromittierter Werke, sondern subtiler durch eine grundsätzliche, rhetorische und methodologische Trennung von Kunst und ihren historisch nachgewiesenen politischen Bindungen. Diese Trennung setzte ein idealisiertes Verständnis von Modernität voraus, das die ihr inhärente Gewalt ausklammerte.
Im westdeutschen Kunstbetrieb wurden vitalistische und formalistische Lesarten der Moderne 1981 mit der Ausstellung Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939 fortgeschrieben. Kuratiert von Kasper König mit Laszlo Glozer, war sie der documenta in Budget, Umfang und Anspruch vergleichbar. Rund 800 Exponate (aus den Jahren 1939–1968 und um 1980) wurden in den Kölner Rheinhallen in einen kuratorischen Diskurs, eine inszenierende Architektur und ein neunteiliges Dokumentarfilmprogramm eingebettet. Der Katalog rekurriert auf Werner Haftmann – der im Filmprogramm persönlich auftritt – und bedient sich organizistischer Metaphern, um ein »Wirkungsgefüge« zu beschreiben, das den »unverbrauchten« Charakter moderner Kunst konstituiere und ihre bleibende, universale Relevanz als »zeitgenössische Kunst« sichere. Oswald Mathias Ungers’ White-Cube-Inszenierung überführte Vor- und Nachkriegsmoderne in eine vermeintlich absolute Gegenwärtigkeit und verdichtete sie zu einer scheinbar apolitischen Einheit. Weder Verfolgung, rassistische Politik, Krieg noch das Exil der Künstler:innen hätten die vitale Substanz der Moderne beeinträchtigt, betont der Film 1939–1945: Kunst im Schatten der Weltpolitik. Freiheit fungiert dabei als zentrales Kriterium, um »wahre« Zugehörigkeit zur Moderne von ideologisch motivierter Aneignung abzugrenzen.
Der Vortrag geht der Frage nach, inwiefern die Neubedeutung der Moderne im Rahmen von Westkunst, also das expositorische Unwahrscheinlichmachen politischer Verstrickungen, Ambivalenzen und Ausschlüssen im Kanon der Moderne, in direktem oder übertragenem Sinne zu »Dekontaminierungsprozessen« beitrug. Zugleich ist dem Versprechen, das die rhetorischen und ideologischen Kontinuitäten zu den Anfängen der documenta weiterhin beinhalteten, im Kontext des Kalten Krieges der frühen 1980er Jahre nachzugehen: im Spannungsfeld aufkommender Postmodernismen und westeuropäischer Identitätsbildung.
Mathilde Arnoux (marnoux@dfk-paris.org) und Maria Bremer (maria.bremer@ruhr-uni-bochum.de) sind Herausgeberinnen des Sammelbands Westkunst, 1981. A Historiography of Modernism Exhibited (Paris 2025).
Mathilde Arnoux ist seit 2006 Forschungsleiterin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK Paris) und verantwortlich für die französischsprachigen Publikationen. Seit dem von ihr geleiteten ERC-Starting-Grant-Projekt OwnReality. Jedem seine Wirklichkeit. Der Begriff der Wirklichkeit in der Bildenden Kunst in Frankreich, BRD, DDR und Polen zwischen 1960 und 1989 widmet sich ihre Forschung den Ost-West-Kunstbeziehungen in Europa während des Kalten Krieges. Ihr Schwerpunkt liegt auf kulturellen Transfers, der histoire croisée sowie transkulturellen Ansätzen. Mathilde Arnoux untersucht die vielfältigen Dimensionen von Kunstbeziehungen, indem sie nicht nur Bewegungsverläufe von Akteur:innen und Objekten analysiert, sondern auch die Beziehungsgeflechte berücksichtigt, in die diese eingebunden sind, bevor sie als Phänomene der Zirkulation wahrgenommen werden.
Maria Bremer ist seit 2021 Akademische Rätin a. Z. am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Zudem war sie u. a. am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK Paris, ERC-Projekt OwnReality), an der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom und an der Universität für angewandte Kunst Wien tätig. Seit ihrer Promotion zu den documenta-Ausgaben der 1970er Jahre (Individuelle Mythologien. Kunst jenseits der Kritik, München 2019) forscht sie zu Kunstausstellungen in Geschichte, Theorie und Praxis. Ihr aktuelles Buchprojekt untersucht kunsthistoriografische Setzungen in Künstlerinnenausstellungen (Italien, 1970er/2020er Jahre). Gemeinsam mit Isabelle Lindermann gibt sie Heft 3/2025 der Zeitschrift kritische berichte zum Thema »Intersektionalität und Ausstellungsgeschichte« heraus.
Beteiligte Kolleg:innen des DFK Paris